Tom Otte

Wer oder was ist aber ‚das Volk‘ – und wenn, wie viele?

Wer oder was ist aber ‚das Volk‘ – und wenn, wie viele?

Die scheinbar einfachen Fragen sind oft die schwersten – vor allem, wo in Zeiten von Pegida und AfD der Begriff ‚Volk‘ und seine Zusammensetzungen eine Renaissance erleben. Wer also ist das Volk?

Na ich“, sagt da der Kalle Krawunkel, „ich bin das Volk, oder zumindest ein Teil davon“. Zum Volk zählt er spontan jede und jeden, der in Deutschland geboren wurde. Schon aber beginnt das Dilemma: Müssen die Eltern dann auch ‚deutsch‘ gewesen sein? An diesem Punkt wird die Argumentationsebene schlüpfrig, zum Teil fast schon ‚völkisch‘.

Im Sprachvergleich zeigt sich, dass es sich beim Wort ‚Volk‘ um eine deutsche Besonderheit handelt. Im Englischen wird ein ähnliches Wort allenfalls gleichbedeutend mit ‚Leute‘ verwendet: „A lot of folks came to the festival, listening to folk-music.“ Das Staatsrecht dort bezieht sich nur auf ein „We the people“, aber nicht auf ein ‚folk‘. Im Französischen regiert ‚le peuple‘. In beiden Fällen wären dies schlicht ‚die Leute‘, also jene, die man so auf der Straße trifft.

Das deutsche Wort ‚Volk‘ aber, allemal in der Einzahl gebraucht, suggeriert, dass es keine solche Buntheit und Vielheit, sondern dass es ein homogenes Gebilde mit einem einheitlichen Willen gäbe, was wiederum auch der heimliche oder offene Souverän sei.

Von der Wortbedeutung her ist der Begriff ‚Volk‘ im Kern paradoxerweise wenig ‚souverän‘. Das Wort leitet sich von ‚Gefolge‘ ab, es geht um jene Schar, die einem anderen ‚folgt‘ oder ‚volkt‘. Eine ‚Heerschar‘ ist es folglich eher als eine ‚Herrschaft‘.

Historisch gesehen entstand der romantische Mythos vom ‚Volk‘ im Umfeld der gescheiterten Nationsbildung. Wenn man schon keine deutsche Nation schaffen konnte, so wusste man doch allemal ‚das Volk‘ hinter sich. Daraus kochte man sich dann einen ideologischen Ersatzkaffee. Um die Stirn dieses imaginierten Volkes waberte prompt im Laufe der Jahre immer dichterer Mythenqualm.

Alles kulminierte dann im Nationalsozialismus. Die Zahl der Wörter mit der Wortwurzel ‚Volk-‘ wuchs ins Unermessliche – vom Volkstum‘ über den ‚Volksempfänger‘ bis hin zum ‚gesunden Volksempfinden‘. Denn ‚gesund‘ war das Volk allemal, im Gegensatz zu allem Fremden und Kranken. Letztlich aber blieb das ‚Volk‘ immer nur der Alibi-Begriff für eine Diktatur, wo ein ‚Führer‘ den ‚wahren Volkswillen‘ exekutieren durfte – der allemal der seine war.

Genau darin liegt auch die Gefahr der Renaissance dieses Volksbegriffs bei Pegida und AfD. Denn das ‚Volk‘ existiert gar nicht. Es gibt nur Millionen von Menschen mit deutschem Pass, die ganz unterschiedliche Ansichten von dieser Welt haben. Und das ist auch gut so …

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