Tom Otte

Recht haben – aus dem Grab heraus

Recht haben – aus dem Grab heraus

Richard Rorty war ein amerikanischer Philosoph, der im Jahr 2007 verstorben ist. Seither ist sein Name nur noch Fachkreisen bekannt, obwohl seine Einsichten heute wie die Faust aufs Auge passen würden. Man könnte sagen, die Geschichte habe sich – wie die deutsche Bahn – bloß ein wenig verspätet.

In dem kleinen Essay-Band „Achieving our Country“ schrieb Rorty im Jahr 1997:

An einem bestimmten Punkt wird etwas einreißen. Die nicht zur gehobenen Mittelschicht gehörende Wählerschaft wird beschließen, dass das System gescheitert ist, und wird sich einen starken Mann suchen, den sie wählen kann – einen, der bereit ist zu versprechen, dass überhebliche Bürokraten, gerissene Anwälte, überbezahlte Finanzexperten und postmoderne Universitätsprofessoren unter seiner Regierung nicht mehr das Sagen haben (…). Die Fortschritte der letzten vierzig Jahre, die schwarze, braune und homosexuelle Amerikaner gemacht haben, werden ausgelöscht werden. Schlüpfrige Verachtung für Frauen wird wieder normal werden (…). Alles, was die akademische Linke inakzeptabel zu machen versuchte, wird zurückkommen. Das ganze Ressentiment, das Amerikaner ohne höhere Bildung empfinden, wenn sie sich ihr Benehmen von Universitätsabgängern diktieren lassen sollen, wird plötzlich durchschlagen.“

Eine erstaunlich exakte Prophezeiung, ganz unabhängig davon, ob wir Donald Trump nun für einen Scharlatan halten, oder nicht. Rorty spricht von den Defiziten der Linken, die sie – ungewollt – zu den Anwälten von Globalisierung, Freihandel und Ungleichheit gemacht haben, indem sie immer neue Minderheiten für sich entdeckten, und ihre ‚Mehrheiten‘ – auch Basis genannt – darüber vergaßen. Rorty weiter:

Die Verbürgerlichung der weißen Arbeiterschaft, die zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges anfing und sich bis zum Vietnamkrieg fortsetzte, ist gestoppt worden. Sie hat sich in ihr Gegenteil verkehrt. Heute proletarisiert sich die amerikanische Mittelschicht. Der Prozess wird in einer populistischen Revolte enden.“

Die Linke wird – zumindest in den USA – heute von Joe Sixpack, dem Blue-Collar-Worker, vor allem als Partei der Globalisierungsgewinner wahrgenommen. Ein demokratisches Mitglied ‚der Eliten‘ wie Hillary Clinton verlor deshalb ebenso folgerichtig wie paradoxerweise gegen einen Talmi-Milliardär, der sich mit goldenen Vorhängen und diamantbesetzten Wasserhähnen zu umgeben pflegt.

Die Linke hat ihre gesellschaftliche Basis heute weniger in der Arbeiterschicht und in den Gewerkschaften, sondern vor allem an den Universitäten und unter den ‚Professionals‘, die den gesellschaftlichen Betrieb der Globalisierung am Laufen halten. ‚Joe Sixpack‘ dagegen, der Ex-Demokrat aus dem ‚Rust-Belt‘, legt heute mehr Wert auf den Erhalt von Arbeitsplätzen als auf den Ausbau von Minderheitenschutz und sozialen Sicherungssystemen.

Die Linke zählt inzwischen selbst zu den Freihändlern. Sie vertritt die Position: Globalisierung sei ebenso ‚gut‘ wie unaufhaltsam. Die Arbeitnehmer der Industriestaaten stünden eben im Konkurrenzkampf mit rumänischen oder mexikanischen Billigarbeitern. Ihre höchst individuelle Lösung in dieser Situation ist daher nicht länger kollektiv, sie richtet sich nur noch an Individuen, wo jeder einzelne produktiver, innovativer, konkurrenzfähiger werden muss. Sozusagen hat die Linke ihre Klasse verloren. Folgerichtig heißen ihre bevorzugten Themen Bildungspolitik, Förderung, Versicherungsschutz, verbunden mit einer rudimentären sozialen Abfederung. Nutzt ihr diese Chancen nicht, so lautet drohend ihr Credo, seid ihr letztlich selber schuld. Mit anderen Worten: Trump wurde möglich, weil die amerikanische und die europäische Linke längst neoliberal geworden sind.

Es lohnt sich, Richard Rorty erneut zu lesen …

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