Tom Otte

Die Spracharmut der Ökonomie

Die Spracharmut der Ökonomie

Die Überschrift widerspricht erst einmal unserer Erfahrung: Kaum irgendwo ist doch so viel ‚Neusprech‘ zu finden, wie in der Welt der Wirtschaft, dort, wo sich jeder Staubsaugervertreter heute in einen ‚Area Sales Manager‘ verwandeln muss. Die Rolle der Sprache bemisst sich jedoch nicht an der Zahl ihrer Wörter, sondern daran, welche ‚Bildwelt‘ sie beflügelt. Es geht um die ‚Metaphorik‘ unserer Sprache.

Unsere Wörter wirken bekanntlich nur wie Reize oder ‘Auslöser’ auf das Gehirn des Empfängers. Sie übertragen keine Information, sondern sie setzen im Gegenüber erwünschte Bildwelten frei – die so genannten ‚metaphorischen Felder‘. Es sind Bildlandschaften, die wir längst schon in uns tragen. Aktiviere ich immer dieselben Regionen, dann verstärken sich diese Areale. Hier wiederum hat eine große Angleichung stattgefunden – im Raum der Ökonomie gibt es immer mehr desselben.

Ob schwarz, rot, gelb, grün oder braun – heute bedienen sich alle politischen Parteien bspw. bei der Sport- und Gesundheitsmetaphorik. Immer muss irgendetwas ‘fit gemacht’ werden, meist für die ‘Herausforderungen der Zukunft’. Natürlich ist ein Idealgewicht dabei nützlich, der Staat oder jede beliebige Organisation muss also ‘schlank’ sein, und jede Bürokratie ‘wuchert’ allemal wie ein Krebsgeschwür, zumindest aber ist sie ‘verkrustet’ und verhindert so die gewünschte ‘Flexibilität’, um dem wirtschaftsarteriellen ‘Reformstau’ zu begegnen, der einen ‘Infarkt’ der Ökonomie bewirken könnte.

An allen Fronten ist längst die Wirtschaftssprache in unseren Alltag eingezogen – unsere Welt wurde gewissermaßen ‘verexcelt‘: ‘Leistung’, ‘Effizienz’, ‘Mobilität’, ‘Wettbewerb’, ‘Konkurrenz’ oder ‘Evaluation’ – alles, was sich berechnen, bewerten und vergleichen lässt, hat einen restlos positiven Beiklang erhalten. Was sich nicht in diese innere Tabellenkalkulation des Nutzendenkens fügt, bleibt dabei natürlich auf der Strecke, es erhält keine mentale Förderung mehr: Mitgefühl, Freundschaft, Verlässlichkeit, Verantwortung … die Wissenschaftler sprechen von einer ‚Ökonomisierung der Sprache‘.

Je mehr wir den Zahlen die Herrschaft in den Unternehmen überlassen, desto mehr verkürzen wir die Unübersichtlichkeit der Welt auf eine Scheinsicherheit, auf die Illusion, wir hätten alles im Griff. Was aber nützt einem all das Vergleichen, Wägen und Abschätzen? Zahlen allein erzählen oft nichts, sie verbergen dann sogar, wie sie entstanden sind. Menschen kommen in dieser Welt nur noch als Rechengrößen vor. Diese Zahlenkolonnen suggerieren zudem, man hätte alles unter Kontrolle und müsse nur noch an den Stellschrauben drehen. Ein solcher sprachlicher Baukasten erscheint jedem Manager attraktiv, er verengt aber auch die Perspektive. Der ‚ökonomische Tunnelblick‘ ist die Folge. Entscheidende Eigenschaften des Lebens und der Arbeitswirklichkeit werden ausgeblendet, weil es für sie (noch) keine Excel-Formel gibt.

Das ‚Wording‘ der Wirtschaft verarmt und verkümmert also unsere Sprache. Alles wird zu einer Frage wahlweise von ‘Regulierung’, ‘Flexibilisierung’ oder ‘Restrukturierung’. Alle Worte aktivieren stets nur ein und dasselbe metaphorische Feld. Jenseits dieser Ebene aus Zahlen und Fakten fehlen uns dagegen die Worte, wie es der altbekannte Managervorbehalt illustriert: „Das rechnet sich, das rechnet sich nicht.“ Es ist ein höchst mechanisches Sprachbild, wo alles ‚eng getaktet‘ ist, wo die ‚Benchmarks‘ den Hürdenparcours der Karriere säumen, wo an den ‚Stellschrauben gedreht‘ wird, bis die Belegschaft quietscht. Es sind faktisch Lautkonserven. Vertrauen lässt sich so kaum herstellen. Beim Festvortrag der Geschäftsführung spielt die Belegschaft längst lieber ‚Bullshit-Bingo‘.

Die Wahl unserer Worte spiegelt immer unsere innere Haltung, also die Bildwelt, in der wir zu leben wähnen. Die sprachliche Herrschaft des Messens, Vergleichens und Zählens verrät daher auch viel über unsere Angst – die Angst vor Kontrollverlust, die Angst vor Fehlern. Letztlich ist es die Angst davor, zur Verantwortung gezogen zu werden. All die Controlling-Routinen, die endlosen Dokumentationen, all die mühseligen Aufgaben, die uns von allem abhalten, vor allem aber von dem, was uns beim Arbeiten Spaß machen könnte, sie dienen letztlich nur einem Zweck: der Absicherung. Und sie schaffen eine Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens. Jeder muss sich fortwährend vor seiner inneren Tabellenkalkulation legitimieren. So gestalten wir selbst eine immer engere Welt, die uns Zukunftsperspektiven verstellt.

Ein Wirtschaftswissenschaftler räumte mir gegenüber offen ein, dass sein Ökonomiestudium dem Erlernen einer fremden Sprache gleichgekommen wäre, wo man über eine rationale Welt redet, die nur in der Theorie existiert.

Mehr dazu:
http://juergen-werner.com/wp-content/uploads/2014/12/prof.werner.pdf

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