Tom Otte

Auch der Mittelstand wird entbehrlich

Auch der Mittelstand wird entbehrlich

Arbeit 4.0

Lange galt die Arbeit als Fluch des Menschen: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ Mit der Aufklärung änderte sich dann diese eher düstere Perspektive der Bibel. Statt arbeiten zu müssen, ging der Mensch jetzt einer Berufung nach, er übte seinen ‚Beruf‘ aus. Und zwar ebenso gern wie gottgefällig. Die Arbeit gab der Existenz erst den Sinn, auf den Randstreifen der beruflichen Laufbahn blühte noch ein wenig Privatleben.

Heute ändert sich dieses Bild der Arbeit erneut – von den meisten noch unbemerkt. Nehmen wir zum Maßstab aber die Zahl der Begriffe, die eine Entwicklung gebiert, dann steht uns Großes bevor – ein Wandel, der unser Berufsleben fundamental verändern wird. Die Rede ist von der ‚Arbeit 4.0‘. Zu den Begriffen, welche die Diskussionen der Zukunftsforscher durchschwirren, zählen Wörter wie ‚Big Data‘, ‚Digital Literacy‘, ‚Crowdworking‘ oder ‚Solo-Selbständigkeit‘.

Arbeit 4.0 ist im Kern nur ein Folgebegriff, ihn zog die Diskussion um die Industrie 4.0 nach sich. Die Digitalisierung des Produktions- und Dienstleistungssektors hat inzwischen ein solches Ausmaß und eine solche ‚Intelligenz‘ erreicht, dass nicht länger nur die ‚niederen Tätigkeiten‘ von der kommenden Automatisierung des Lebens erfasst sein werden. Züge und Autos sollen sich ohne Fahrer fortbewegen, Roboter den Chirurgen ersetzen, Produkte ortsunabhängig entstehen, ja, ganze Siedlungen würden künftig von großen 3D-Druckern erbaut.

Auch wenn vieles davon noch Zukunftsmusik sein mag – die Einschläge kommen näher, und sie treffen jetzt auch die ‚Intelligenzberufe‘, jenen Mittelstand, der sich aufgrund seiner Kompetenzen bisher unersetzlich glaubte: Architekten. Statiker, Ärzte, Ingenieure, Lehrer usw. An diese Folgen knüpft die Diskussion um die Arbeit 4.0 an …

Der erste Reflex bezieht sich natürlich auf den Aspekt der ‚Befreiung von Arbeit‘. Maschinen erledigen in Zukunft den Job, und es käme gesellschaftlich dann doch nur noch darauf an, den resultierenden Mehrwert gerecht zu verteilen. Alle Diskussionen um ein ‚bedingungsloses Grundeinkommen‘ haben hier ihren Ursprung. Solche Debatten hat es im Laufe der technischen Entwicklung viele gegeben, bisher haben aber immer ganz neue Formen der Arbeit die fortfallenden ersetzt. So wird es wohl auch unter den Bedingungen der Arbeit 4.0 sein.

Klar aber ist, dass die Arbeit sich ändern wird. So hat die oft schon heute beklagte 24-7-Schicht in der Industrie 4.0 hier ihren Ursprung. Wenn ich an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden lang erreichbar sein muss, dann geraten globalisierte Produktionsprozesse und Zeitzonen in Konflikt. Ist es in der Fabrik in Bombay schon heller Vormittag, dann klingle ich von dort aus meinen Produktionsleiter in Kopenhagen trotzdem mitten in der Nacht aus dem Bett. Eine global diversifizierte Industrie 4.0 kennt keine Zeitzonen mehr, sie produziert rund um die Uhr, auch und gerade auf Führungsebenen. Gleiches gilt für die Arbeit 4.0. Für die allzeitige Erreichbarkeit Regelungen zu finden, ist eine der großen Aufgaben der ablaufenden Entwicklung. Denn der Mensch lebt nicht vom Beruf allein …

In einer ‚globalisierten Wissensgesellschaft‘ – dies ein weiterer Kernbegriff der Diskussion – konkurriere ich um meinen Arbeitsplatz ferner nicht länger nur mit jenen, die früher ein FAZ- oder Zeit-Inserat erreichte. Auch die Führungspositionen werden jetzt global ausgeschrieben, und von den jeweils Fähigsten weltweit besetzt. Als ‚Lingua Franca‘ ersetzt das Englische immer mehr alle anderen Verkehrssprachen, interkulturelle Kompetenz ist auf entnationalisierten Arbeitsmärkten eine neue Führungsfähigkeit.

Im Kern aller Ursachen für den großen Wandel stoßen wir dann immer wieder auf die ‚Digitalisierung aller Arbeitsbereiche‘. Das heißt zugleich, dass digitale Analphabeten und der hinhaltende analoge Widerstand keine Chance mehr haben. Die ‚Digital Literacy‘ wird zur Kernkompetenz, um unter den Bedingungen der Arbeit 4.0 noch Karriere machen zu können. Die Zeit der ‚Internetausdrucker‘ ist endgültig abgelaufen …

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